Licht und Schatten auf der INVEST 2023 in Stuttgart
Die INVEST Stuttgart ist nach Angaben des Veranstalters als Leitmesse und Kongress für Finanzen und Geldanlage „die größte Veranstaltung im deutschsprachigen Raum rund um Anlagethemen.“
Grund genug, mich dort einmal umzusehen.
Anreise nach Stuttgart zum Schnäppchenpreis
Selbstverständlich bin ich von München mit der Bahn nach Stuttgart zur INVEST gereist. Eine Strecke hat dabei weniger gekostet als ein Dönerteller: 9,65 Euro mit dem „Super-Sparpreis Aktion“ der Deutschen Bahn. Auf den regulären Sparpreis, der ein paar Euro mehr gekostet hätte, habe ich dieses Mal verzichtet, weil erstens bei dem Preis eine Stornomöglichkeit gegen 10 Euro Gebühr Quatsch ist und ich kein City-Ticket benötigte: In München mit dem Radl zum Bahnhof und in Stuttgart das im Messeeintritt inbegriffene ÖPNV-Ticket genutzt.
Zugegeben, mit zwei Stunden Fahrzeit von Bahnhof zu Bahnhof kann die Bahn noch nicht ganz mit dem Auto mithalten. Aber immerhin soll die Stuttgarter Messe im Rahmen des Mammutprojekts „Stuttgart 21“ ja sogar „an das Schienennetz angebunden“ werden. Man höre und staune über diese visionäre Idee eines Messegeländes mit Bahnanschluss – und das in der Autostadt Stuttgart. Frage mich jedoch langsam, ob mit „Stuttgart 21“ nicht das Jahr 2121 gemeint ist?
Das Freiticket zum Messeeintritt ergatterte ich über Tim Schäfers Blog.
Blogger-Lounge
Daher wollte ich zuerst zur Blogger-Lounge der INVEST, in der Hoffnung den Meister persönlich zu treffen. Für die Blogger-Lounge hatten sich neben Tim einige andere hochkarätige Blogger angekündigt, deren Blogs ich gerne lese und mitverfolge, wie Lars Wrobbel oder Christian Röhl. Dass sich dort auch ein paar vereinzelte Nervensägen bzw. Clickbait-Heischer untergemischt hatten, lässt sich wohl kaum vermeiden.
Die Blogger-Lounge war die meiste Zeit jedoch ziemlich überlaufen, die Gelegenheiten für Gespräche im kleineren Kreis waren eher rar. Leider habe ich Tim Schäfer nicht persönlich getroffen.
Im Dschungel der INVEST-Aussteller
Die meisten Aussteller ließ ich links liegen. Denn auf solchen Messen tummeln sich eben viele Anbieter von „Finanzpornographie“, wie es Gerd Kommer formulieren würde: Geschlossene Beteiligungen, Greenwashing unter dem Deckmantel grüner Geldanlagen, Crowdfunding-Plattformen mit zweifelhafter Erfolgsbilanz, Finanzmagazine mit „heißen Anlagetipps“, Börsenbriefe mit todsicherer Anlagestrategie, Edelmetallhändler mit horrenden Verwahrentgelten auf Kundenfang. Nun ja, dennoch findet das meiste Angebot eine Nachfrage. Ob das Schreckgespenst nun Krieg, Zinswende, Inflationen oder – jetzt neu – Bankenkrise heißt: Für alles und jeden finden sich überteuerte, vermeintlich alternativlosen Anlagen, um das Vermögen „in Sicherheit zu bringen“ oder über Nacht Millionär zu werden. Oder am besten gleich beides in einem.
So viele Wahrsager und Kaffeesatzleser an einem Ort sah ich lange nicht mehr! Wieso muss sich ein Referent die Mühe machen, seine Zeit auf der Messe totzuschlagen, um seinen Börsenbrief mit Megatrends anzupreisen, wo er doch in der Karibik die Milliarden verprassen könnte, die er als Hellseher an der Börse gemacht hat? Vielleicht lohnt es sich für ihn doch eher, in einem Börsenbrief für fast 1.000 Euro (!) ein paar illiquide Pennystocks über den grünen Klee zu loben, damit man diese Aktien nach der Greater Fool Theory mit hohem Gewinn an den Mann oder die Frau bekommt.
Na ja, ginge jeder Anleger nach der Effizienzmarkthypothese, nach der alle öffentlich verfügbaren Informationen bereits im Aktien-, Devisen- oder Rohstoffkurs eingepreist sind, würde die Hälfte der Messeaussteller auf der INVEST vermutlich am Hungertuch nagen. Dann wäre so eine solche Messe ja langweilig.
Außerdem gab es an jedem dritten Stand ein Gewinnspiel, mit dem sich die Anbieter die persönlichen Daten ihrer potenziellen Kunden besorgten. Wer das Kleingedruckte bei solchen Gelegenheiten nicht gelesen hat, wird sich in nächster Zeit über Post mit unschlagbaren Angeboten wundern.
Was nützt dieses Überangebot dem Anleger?
Angesichts der vielen unnützen, aber teuren Angebote zeigt sich wieder: Die besten Investitionen für den Anleger sind günstig und transparent, wie Aktien oder ETFs. Günstig heißt: Mit geringstmöglichen Gebühren. Transparent heißt: Jederzeit mit Marktpreisen zu bewerten. Aus Anbietersicht ist es genau umgekehrt, deswegen das Buhlen um die Gunst der Investoren mit intransparenten, komplizierten Produkten oder heißen, aber teuren Tipps.
Dass andererseits einer der günstigsten ETF-Anbieter, Amundi, ausstellte, ist großartig – bringt mir aber als Privatanleger keinen zusätzlichen Nutzen. Zu einem FIRE-Portfolio aus einer Handvoll ETFs auf breitgestreute Indizes gibt es einfach nicht viel zu sagen.
INVESTieren oder Spekulieren?
Ebenfalls zahlreich vertreten waren Anbieter, die einfache Gewinne mit Trading-Plattformen, Trading-Software oder sonstigen Trading-Tools versprechen, waren ebenfalls. Auch diese lasse ich als Buy & Hold-INVESTor ganz links liegen.
Die Bühne der Blogger-Lounge auf der INVEST
So konzentrierte ich mich auf die Präsentationen, die im Zusammenhang mit der Blogger Lounge angeboten wurde. Selbst dort war man vor versteckter Produktplatzierung nicht ganz gefeit, jedoch überwogen die Ideen und nützlichen Informationen hier eindeutig.
Endlich konnte ich dort Tim Schäfer persönlich erleben. Auf seine gewohnt offene und witzige Art brachte er dem begeisterten Publikum seine „Charmanten Kursdesaster“ nahe und erklärte, wie er in den Verliererlisten der Indizes auf Schnäppchensuche geht. Der Vortrag, der mehr eine Frage & Antwort-Runde war, wurde bei den Tims trockenen Bemerkungen immer wieder von Beifall unterbrochen.
„Ob zwei oder fünf Millionen, das spielt dann auch keine Rolle mehr.“
Tim Schäfer auf der INVEST 2023 in Stuttgart
Unter dem Titel „Das Rheinische Grundgesetz für Investoren: Die 11 wichtigsten Regeln für Deinen Börsen-Erfolg“ lief dann Christian Röhl vor hunderten Zuhörern in überfüllter Halle mit seinem rheinischen Humor zu Höchstform auf, um eben genau diese Grundgesetze für Investoren zu erläutern.
Unter dem Motto „So findest du unterbewertete Aktien“ stellte Torsten Tied sein Tool aktienfinder.net vor. In einer Dreiviertelstunde zeigte er anhand von Titeln aus unterschiedlichen Sektoren, anhand welcher Kriterien man eine mögliche Unterbewertung erkennen kann und welche Schlüsse man für die Aktienauswahl daraus ziehen kann. Ich hatte von aktienfinder.net bisher nur vage Vorstellungen, bekam aber hier einen guten Einblick. Für Investoren, die auf Einzelaktien setzten, sicherlich ein vernünftiges Werkzeug. Ob die Gebühren fürs Abo gut investiert sind, muss jeder selbst entscheiden. Tims Verliererlisten sind hingegen gratis, erfordern aber einiges mehr an persönlicher Recherche.
Infotainment und Produktplatzierung
Hinter den meisten Vorträgen und Präsentationen stand irgendein Anbieter, welcher seine Produkte und Dienstleistungen vermarkten wollte. Für mich ist das völlig legitim, solange man als Zuhörer einen kühlen Kopf bewahrt und sich auf die Informationen und Einschätzungen der Präsentierenden konzentriert.
So erläuterte zum Beispiel Heiko Böhmer von Shareholder Invest, einem Anbieter klassischer aktiv gemanagter Fonds, wieso es Index-Investing in den nächsten Jahren im zu erwarteten Marktumfeld schwer haben wird, positive Realrenditen zu erwirtschaften und wieso zwar an der Assetklasse Aktien kein Weg vorbeiführe, die Aktienauswahl (Stock Picking) aber das Gebot der Stunde sei. Er stellte einen ETF vor, den das Unternehmen ziemlich neu aufgelegt hat, in dem jedes Quartal die 25 aussichtsreichen Large Caps-Aktien aus den entwickelten Märkten und China nach einem Modern Value Investing-Konzept für den ETF ausgewählt und ggf. ausgetauscht werden. Der zugehörige Index wurde bei Solactive aufgelegt.
Wie so viele regelbasierten Investitionsstrategien klingt auch diese auf den ersten Blick vielversprechend. Es wird sich zeigen, ob etablierte Fondsanbieter auf den ETF-Zug aufspringen, weil sie bei ihren klassischen Produkten, den aktiven Investmentfonds mit mitunter horrenden Gebühren, ihre Felle davonschwimmen sehen, oder ob sich damit ein Segment im Bereich der Smart Beta-ETFs etabliert, welche eine ernstzunehmende Alternative zur Einzeltitelauswahl darstellt. Die geringe Aktienanzahl von 25 Titeln qualifiziert diesen ETF vielleicht als eine Alternative zum direkten Investieren in Einzeltitel, obgleich sich unter diesen 25 Titeln viele übliche Verdächtige tummeln, die eh schon die rein passiven Developed World- oder All World-Indizes dominieren.
Ich werde diesen „aktiven“ ETF und andere mit sehr selektiver Aktienauswahl eine Weile im Auge behalten und zu gegebener Zeit darüber berichten.
Fazit
Nach vielen spannenden Gesprächen, inspirierenden Menschen und ihren Präsentationen, einer Menge guten, aber auch zweifelhaften Eindrücken und vor allem – jeder Menge neuer Ideen für Beiträge auf vermoegen-meistern.de ging es am Abend erschöpft, aber zufrieden zurück nach München.
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